Als ich aufwachte und meine Augen öffnete, sah ich das grelle Licht von einer starken Lampe, die an der Decke hing. Ich konnte nicht aufstehen, aber ich wusste nicht warum. Als ich hinunterschaute, sah ich dicke Fesseln, die mich an den Stuhl fest banden. Die Wände im Raum waren sehr eng und weiss gestrichen. Diese Farbe machte den Raum noch viel heller, als er eigentlich sein sollte.
Erst jetzt merkte ich, dass mein Stuhl vor einem Tisch stand und vier weitere Personen am Tisch sassen. Es war kein gewöhnlicher Tisch, er war fünfeckig. Dadurch hatte jede Person ihr eigenes Abteil. Ich konnte die anderen Personen nicht erkennen, da sie alle Masken trugen und nur ihre Augen sichtbar waren. Mein Gehirn fing an zu arbeiten und ich fragte mich, wie ich hier her kam gekommen war und wieso ich hier war.
Da erklang ein schriller, lauter Schrei. Alle im Raum drehten sich zur Quelle des Schreies hin. Es war die Person, die neben mir sass. Sie sagte mit viel Adrenalin in der Stimme: «Hilfe! Holt mich hier raus!» Ihr blick flog durch den Raum und sie merkte, dass alle sie anstarrten. Da verstummte ihr Geschrei schon wieder. Als ich mich genauer umsah, erblickte ich ein Tablet vor mir, das im Tisch eingebaut war. Jede Person hatte so ein Tablet vor sich.
Wie aus dem nichts gingen die Lichter aus und die Tablets schalteten sich ein. Es erschien ein Text oben auf dem Bildschirm: «Stimmt ab, wer nicht mehr hier sein muss.» Darunter waren fünf Gesichter, eines davon war mein eigenes. Ich konnte nicht erkennen, wem die anderen Gesichter gehörten, alle trugen Masken, so wie ich. Doch plötzlich erkannte ich eine Person auf dem Bildschirm. Zur gleichen Zeit hörte ich jemanden leise aber sehr liebevoll meinen Namen rufen: «Tiago bist du da?» Ich konnte es nicht fassen, es war die Stimme von Theo, meinem Geliebten. Ich antwortete: «Theo bist du das?!» Ich bekam eine zustimmende Antwort von der zweiten Person rechts von mir. Als wir uns gerade weiter unterhalten wollten, hörten wir eine dritte Stimme von der Person neben Theo: «Ekelhaft! Seit Seid ihr etwa ein Paar? Das sollte verboten sein.» Man erkannte deutlich den Hass und die Verachtung in seiner Stimme und in seinen Augen. Nun meldete sich die letzte Person zu Wort, welche die rechts neben mir sass: «Bitte wählt mich! Ich will hier raus! Ich habe die Welt bereist und Handel betrieben. Ich habe viel Geld und bezahle euch, wenn ihr mich wählt. Ich bin die dritte Person auf dem Bildschirm.» Da erschien plötzlich ein Countdown auf dem Tablet. Noch zehn Sekunden! Die Frau links von mir, welche so geschrien hatte, wählte sofort die reiche Dame. Beim politisch nicht korrekten Mann, konnte ich nicht erkennen, für wen er sich entschied. Ich wählte natürlich Theo. Weitere Abstimmungen konnte ich nicht sehen, da ich selber auf meine fokussiert war. Nach den viel zu langen zehn Sekunden wechselte der Bildschirm und zeigte das Gesicht einer Frau. Es war nicht die reiche Dame. Es musste wohl die schreiende Person vom Anfang sein. Unter ihrem Bild las ich den Text, welcher aussagte, dass niemand sie gewählt hatte. Jetzt erschien das Bild eines älteren Mannes, welcher logischerweise der Homophob sein musste, da es weder Theo noch mich darstellte. Er hatte auch keine Stimme erhalten. Nach ihm erschien mein und dann Theos Bild, mit jeweils einer Stimme. Zum Schluss erschien das Bild der reichen Dame mit drei Stimmen. Sie wollte schon voller Freude jubilieren, doch plötzlich wurden die Iris in ihren Augen immer milchiger, als würde ihr das Leben ausgesaugt werden. Dann kippte sie samt Stuhl rückwärts um. Wir alle mussten zusehen wie sie starb und konnten nichts dagegen tun. Auf dem Bildschirm erschien ein neuer Text: «Verbrechen: Frau Boozle hat für illegale Organisationen Waffen geschmuggelt und diese verkauft, was für viele Tote sorgte.» Es herrschte Stille im Raum. Niemand traute sich was zu sagen, nach diesem schrecklichen Ereignis, das sich in diesem skurrilen Raum zugetragen hatte. Es stand ein neuer Countdown auf dem Bildschirm, jetzt waren es zehn Minuten. Ich ergriff als erster das Wort und fragte die anderen, ob wir uns mit Namen vorstellen sollten. Nach zwei bejahenden Antworten und einem nicht so freundlichen Gemurmel beschloss ich, anzufangen: «Ehm, hallo ich bin Tiago und ich bin 22 Jahre alt.» Theo war als nächstes dran und er sagte mit zittriger Stimme: «Mein Name ist Theo, ich bin 21 und ich habe Autismus.» Er sagte es scheu, aber ohne zu stocken, so als hätte er zehn Mal in seinem Kopf durchgedacht, was er sagen wollte. Als nächstes war der ältere Mann an der Reihe: «Ich bin Franklin und finde nur Mann und Frau gehören als Paar zusammen. Ich teile euch ganz sicher nicht mein Alter mit!» Nun fehlte noch die Frau: «Hallöle, ich bin Lina und ich habe meinen IQ-Test mit ganzen 72 Punkten abgeschlossen! Ach ja und ich bin auch 21.» Plötzlich erschien der Countdown erneut. 10, 9, 8, … . Wir warteten ab und als der Bildschirm 0 zeigte, wurde es wieder ganz dunkel. Dieses mal hatten wir eine Minute Zeit, um jemanden zu wählen. Jetzt standen die Namen unter den Köpfen der Personen. Ich dachte taktisch und wählte sofort Franklin, welcher der sicher mich oder Theo wählen würde. Lina verstand nicht ganz, was sie tun sollte, und wählte jemanden. Als ich zu Theo blickte, sah ich nur vage im dunklen Licht, wie er schützend seine Arme vor den Kopf hielt und sich zusammen zog wie ein Ball. Er musste sehr gestresst sein von dem Ganzen hier. Da landete der Countdown bei 0 und das Licht ging wieder an. Das Bild meines Kopfes erschien zuerst und darunter die Zahl 0. Dann kamen die nächsten drei Köpfe von den restlichen Personen. Alle hatten eine Stimme. Ich verstand nicht. Hatte Theo Lina gewählt? Wer hatte Lina gewählt? Hatte Franklin sich der Stimme enthalten? Da schwirrte mir der Gedanke durch den Kopf, ob sich Theo enthalten hatte und Lina sich selber gewählt hatte, weil sie nicht realisiert hatte, was hier vor sich ging. Niemand wird es je erfahren. Wie aus dem Nichts wurde es wieder dunkel und ich konnte hören wie Theo zusammenzuckte. Es kamen drei Lichtstrahlen runter, einer auf Lina, einer auf Theo und einer auf Franklin - zwei grüne und ein roter. Da begann der rote Strahl von einer Person zur aAnderen zu springen. Er wurde immer schneller bis er ganz abrupt auf Lina verharrte. Sie schaute neugierig und blinzelnd dem Strahl entgegen, als auch ihr Körper plötzlich zusammen zuckte, immer lebloser wirkte und samt Stuhl rückwärts umkippte. Auf dem Bildschirm erschien: «Verbrechen: Hat zwei Kinder mit ihrem Auto totgefahren. Sie wusste nicht, dass man bei einem Fussgängerstreifen anhalten muss. Sie hat danach Fahrerflucht begangen.» Wir waren sprachlos. Das Tablet zeigte uns erneut zehn Minuten Pause an. Nach einer gefühlten Ewigkeit ergriff Franklin das Wort: «Ich weiss, dass ich als nächster sterben werde, aber nicht ohne einen Kampf.» Er versuchte seine Fesseln zu lösen, zerrte daran und schlug um sich. Vergeblich. Er ängstige dabei Theo so fest. dass dieser in Ohnmacht fiel. Nun konnte Theo nicht mehr abstimmen. Jetzt würde es erneut zu einem Unentschieden kommen. Ich fragte mich insgeheim, ob hier jeder eines Verbrechens beschuldigt werden würde. Nur etwas wusste ich, ich war schuldig. Die restlichen neun Minuten der Zeit warteten wir still ab. Innerlich war ich nervöser als je. Würde Franklin mich oder Theo wählen? Würde jemand von uns sterben? Was würde passieren, wenn nur noch ich und Theo da wären? Ich könnte ihn nicht umbringen. Als der Countdown wieder die Null erreichte, wurde es dunkel und wir konnten wieder abstimmen. Theo sass leider immer noch regungslos auf seinem Stuhl und machte keinen Mucks. Franklin wählte seine Person und ich wählte meine. Wir waren das erste Mal vor dem Ablauf des Countdowns fertig. Das Licht ging wieder an und die Ergebnisse wurden dargestellt. Ich hatte keine Stimme erhalten. Theo und Franklin je eine. Der Raum wurde wieder von Dunkelheit umhüllt und es erschienen zwei Lichtscheine, einer rot, einer grün. Es fühlte sich an wie Folter, als sie von einer Person zur anderen wechselten. Ich schloss meine Augen. Ich konnte nicht hinsehen, nein ich wollte nicht hinsehen. Als ich meine Augen öffnete, da ich das leichte Flackern des Lichtes nicht mehr durch meine geschlossenen Augen wahrnehmen konnte, befürchtete ich das Schlimmste. Mein Freund Theo lag leblos am Boden. Ich war wie erstarrt und spürte nur die Tränen, die von meinen Augen über die Wangen bis zu meinem Kinn kullerten. Als ich schon voller Wut Franklin anschreien wollte, erkannte ich in seinen Augen kein Glück sondern Wut. Aber wieso? «Sollte er nicht glücklich sein?», fragte ich mich voller Hass und Traurigkeit. Wie jedes Mal leuchtete ein Text auf dem Tablet auf: «Verbrechen: Theo hat als kleines Kind seinen besten Freund vor einen Zug gestossen. Da er durch das Bellen eines Hundes erschrak.» Ich wusste von diesem Vorkommnis. Theo hatte immer wieder Albträume von diesem schrecklichen Tag. «Jetzt sind nur noch wir zwei.», stotterte Franklin zittrig. Ich antwortete nicht und wartete, bis das Tablet wieder den Countdown anzeigen würde. Doch er erschien nicht. Jedoch öffnete sich in der Mitte des Tisches eine kleine Klappe, welche einen Revolver zum Vorschein brachte. Ich schnappte mir den Revolver und sah, dass sich nur ein Schuss in der Trommel befand. Auf dem Bildschirm des Tablets erschien jetzt eine Anweisung: «Drehe die Trommel, so dass du nicht weisst, wo die Patrone sich in ihr befindet.» Wir sollten wohl Russisch Roulette spielen. Aber was hinderte mich daran, sechs Mal abzudrücken, um Franklin zu töten? Ich vermutete, dass ich wie die anderen umkippen und sterben würde, wenn ich dies versuchte. Dies teilte ich auch Franklin mit, welcher nur kurz nickte. Ich schob ihm den Revolver über den Tisch zu, er durfte anfangen. Er zog den Revolver zu sich, drückte sich ihn an die Schläfe und wartete drei Minuten. Er fand den Mut nicht, abzudrücken. Doch plötzlich zog er den Abzug, es machte Klick. Er senkte den zitternden Arm, nahm den Revolver runter und schob ihn zurück. Ich hatte eine Chance von 20%, dass ich jetzt hier sterben würde. Wäre das wirklich meine Ende? Ich hatte noch so viel vor. Egal, mein Leben wurde durch den Tod von Theo ja schon zerstört. Ich positionierte den Revolver an meine Schläfe und drückte ab. Das klicken Klicken des Revolvers hörte sich viel lauter an, wenn der Abzug direkt neben dem Ohr betätigt wurde. Es passierte nichts. Ich liess den Revolver über den Tisch zurück zu Franklin gleiten. Dieses Mal zögerte er überhaupt nicht und drückte ab. Es passierte nichts. Jetzt war wieder ich an der Reihe. Nun fing ich an zu zögern. Aber nach einer geraumen Zeit von Nachdenken und Chancen ausrechnen drückte ich ab. Ich zuckte zusammen, aber ich lebte noch. Ich gab die Waffe wieder Franklin und hoffte, dass sie jetzt scharf schiessen würde. Sonst wäre ich tot. Er fing an, still Tränen zu vergiessen und drückte ohne zu zögern ab. Es passierte nichts. Mit zitternder Stimme sagte er: «Das ist nun wohl das Ende.» Aber er hörte sich schon fast traurig an. Ich nahm den Revolver, aber schaffte es einfach nicht, ihn zu positionieren und abzudrücken. Nach mindestens einer Stunde fragte Franklin, ob er es übernehmen sollte. Ich nickte nur leicht und schob ihm den Revolver rüber. Ich schloss meine Augen. Ich hörte, wie er zielte und wie er den Finger auf den Abzug legte. Sogar jeden kleinen Atemzug nahm ich wahr. Ich dachte immer, vor seinem Tod würde man sein ganzes Leben noch einmal vorbeiziehen sehen. Doch dies stimmte nicht. Ich sah vor meinen geschlossenen Augen nur drei tote Leute und jemanden, der mit einem Revolver auf mich zielte. Plötzlich hörte ich Franklin laut schreien und wie er den Abzug betätigte. Dann hörte ich einen lauten Knall. So fühlte es sich also an, tot zu sein. Aber irgendwie fühlte es sich nicht anders an, wie zu leben. Ich konnte alles noch spüren. Ich öffnete meine Augen und sah Franklin mit dem Revolver in der leblosen Hand und Blut, sehr viel Blut. Er hatte sich selber umgebracht. Auf dem Tablet erschien ein Text: «Verbrechen: Mit 17 Jahren ermordete er seine Eltern, nachdem sie ihn mehrere Jahre lang bestraft hatten, da er romantische Gefühle für einen jungen Mann hatte.» Mein Gehirn war immer noch voll mit Nichts und Allem. Vor mir löste sich ein Strick von der Decke runter und Geldscheine, ganz viel Geld. Auf dem Tablet stand, ich solle das Geld für mich nehmen. Wenn ich mich für den anderen Weg entscheiden würde, werde es meine Familie bekommen. Mein Kopf war so schwer, dass ich nicht mehr überlegen konnte. Dann traf ich meine Entscheidung. Nach ein paar Minuten wurde alles schwarz.